«Nicht für jeden Gix und Gax zum Arzt, wenn Kinder "wild" tun …»»

18. April 2016/von A. Wolfensberger mit Dr. Noyer/

«Ritalin ist ein sehr starkes Medikament, Erwachsene nehmen es sogar als Aufputschmittel vor Sitzungen, Prüfungen und anderen Situationen, wo Leistung gefordert wird.»

Der Apotheker Dr. Noyer schildert im Gespräch mit Andrea Wolfensberger seine Sicht.

Zur Person J.M. Noyer wurde 1930 geboren. Nach der Matur Studium der Pharmazie in Bern. Freiberuflich in seinem Beruf tätig in Zusammenarbeit mit seiner Frau, auch Apothekerin. Regelmässig Erweiterung seiner Apotheke und Gründung von Filialen in Bern und Biel. Tätigkeit in Berufsverbänden und auch Lehrtätigkeit an der Universität Bern. Die Arbeit im Kontakt mit seinen Mitmenschen ist immer noch seine Leidenschaft. Jean Maurice Noyer ist Vater von 4 Kindern und Grossvater von 8 Enkelkindern.

Werden heute mehr Medikamente für Kinder verkauft als früher?

Das ist schwierig zu beurteilen, dafür bräuchte es genaue Zahlen. Rein gefühlsmässig würde ich sagen, dass es sicher mehr sind als früher.

Was denken Sie, was die Ursache dieser Zunahme sein könnte?

Viele Kinder haben Schwierigkeit, sich zu adaptieren in der Gemeinschaft. Aus meiner persönlichen Erfahrung heraus sehe ich oft verunsicherte Eltern, denen der gesunde Menschenverstand etwas abhanden gekommen ist, wenn ihre Kinder im Kindergarten "wild tun". Sie rennen dann bei jedem "Gix und Gax" zum Arzt und suchen Zuflucht bei Medikamenten. Der Arzt steht damit vor einem ähnlichen Dilemma wie bei den Antibiotika. Auch diese sollten nur zurückhaltend und gezielt dort eingesetzt werden, wo es absolut notwendig ist. In den geschilderten Situationen überlagern sich oft psychische, verhaltenspsychologische und medizinische Probleme. Unter dem Druck und der Verantwortung, nichts unversucht zu lassen, bezieht dann der Arzt auch den medikamentösen Ansatz in seine Behandlung ein.

Haben Sie das Gefühl, die Kinder seien heute "wilder" in der Schule als früher?

Ich würde eher sagen, das Kind von heute ist ein ganz anderes Kind. Es gibt - wie auch sein Umfeld und seine Lebenssituation - ein ganz anderes Bild ab als früher. Es wirkt selbständiger und tritt sicherer auf gegenüber Eltern und Lehrer. Das war in früheren Jahren noch nicht so – ob dies besser oder schlechter sei, bleibe dahingestellt.

Was halten Sie von der Entwicklung von Tablets, Spielkonsolen usw. für Kinder?

Ich sehe nicht viel Gutes in dieser Entwicklung. Ich finde es unsinnig und schädlich, wenn Kinder nur noch auf diese Dinger starren und alles andere um sie herum ausblenden.

Könnten die am Anfang erwähnten Probleme auch mit der gesteigerten Verbreitung und Nutzung solcher Geräte zusammenhängen?

Davon bin ich überzeugt.

"Hyperaktive Kinder – so etwas gibt es im Wald nicht." Was halten sie von diesem bekannten Zitat?

Ich kann mir gut vorstellen, dass dies im Wald, auf einem Bauernhof, in einer natürlichen Umgebung nicht oder viel weniger vorkommt.

Könnte man sagen, dass diese "wilden" Kinder – ich nenne sie mal "Zappelphilipp" – so etwas wie ein Naturdefizitsyndrom haben?

Sehr schwierig zu sagen. Für die einen ist der "Zappelphilipp" eine vorübergehende Phase, über die sie mit der Zeit hinauswachsen, andere überwinden sie mit Tabletten.

Was meinen Sie zu diesen Tabletten - Stichwort Ritalin?

Ich habe die Anfangszeiten miterlebt, mit den überhöhten Erwartungen und den unterschätzten Folgen. Eltern wurden häufig von der Schule direkt dazu aufgefordert, ihrem verhaltensauffälligen Kind Ritalin verschreiben zu lassen. Man müsste viel vorsichtiger und viel zurückhaltender damit umgehen. Ritalin ist ein sehr starkes Medikament, Erwachsene nehmen es sogar als Aufputschmittel vor Sitzungen, Prüfungen und anderen Situationen, wo Leistung gefordert wird. Kinder werden damit einfach "stillgelegt", damit man seine Ruhe hat. Aber nützt das nicht eher der Umgebung anstatt dem Kind? Und welches sind die Auswirkungen, die Spätfolgen? Dies lässt sich nur sehr schwer abschätzen. Zum Glück gibt es heute starke Bestrebungen, den Einsatz von Ritalin massiv einzuschränken.

Könnte man Ritalin als Einstiegsdroge bezeichnen, die schliesslich zu anderen Drogen bis zu Kokain führen kann?

Das glaube ich nicht, und mir wären auch keine Aussagen oder Untersuchungen bekannt, die in diese Richtung gingen.

Unterstützen Sie die These "Kinder hinaus in die Natur"? Ist dies wichtig für die Entwicklung der Kinder?

Dies ist sehr wichtig. Davon bin ich absolut überzeugt.

Website der Dr. Noyer Apotheken

vom Chindertroum - Andrea Wolfensberger, 18. April 2016

Über den Chindertroum

Im Waldkindergarten Chindertroum werden die Leitideen und Ziele des Kindergartenlehrplans für den deutschsprachigen Teil des Kantons Bern umgesetzt mit der Besonderheit, dass die Kinder sich die meiste Zeit im Wald aufhalten. Damit werden die übergeordneten Ziele gemäss Art. 2a des Volksschulgesetzes verfolgt, das Kind in seiner Entwicklung zu fördern, es in eine erweiterte Gemeinschaft einzuführen und ihm damit den Übertritt in die Primarstufe zu erleichtern.

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